Matthias Geitel

 

Korinth – Akrokorinth – Penteskouphia

 

1 Wanderung, 1 Projektion, 1 Zeichnung
2018


Eines der 23 Gemälde aus Carl Rottmanns Münchner Griechenlandzyklus von 1850, gemalt während der Regierungszeit des bayerischen Prinzen Otto von Wittelsbach als erstem König von Griechenland, zeigt eine Ansicht der Landschaft um das antike Korinth als baumlose, versandete Ebene mit Akrokorinth im Hintergrund. Rottmanns leere und entvölkerte Gegend gibt es heute nicht mehr, die verbliebenen freien Räume schwinden zusehends.

Es reizte mich, der Zeitzeugenschaft Rottmanns einen aktuellen Blick auf die von ihm gemalte Landschaft gegenüber zu stellen, und zwar nicht als Gemälde, sondern in Form einer umfangreichen Fotoabfolge. Für die Realisierung dieser Bildersammlung konzipierte ich die Wanderung entlang einer Linie, die mich vom Hafen des neuen Korinth quer durch die Stadt und ihre Außenbezirke nach dem antiken Korinth und Akrokorinth führen sollte.

Anfangs- und Endpunkt dieser Wanderlinie wusste ich göttlich besetzt. Eine Replik der vermeintlichen Poseidonstatue von Artemision bewacht auf etwas verlorenem Posten den Hafen von Korinth. Westlich von Akrokorinth wurden 1880 die Votivtafeln von Penteskouphia gefunden (heute im Besitz der Berliner Antikensammlung), die auf ein nie ausfindig gemachtes Poseidon-Heiligtum in den Bergen hindeuten. Der Fundort der Tafeln diente mir als ein vages Ziel, welches zu erreichen eine schöne Illusion blieb.

siehe: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artist/carl-rottmann/korinth-mit-akrokorinth

 

Piazzetta        

Rückseite einer Pinax von Penteskouphia, Antikensammlung Berlin

   
         

 

Korinth – Penteskouphia (Buchseite aus "TOUR"))

„Aber sage nur niemand, daß uns das Schicksal trenne! Wir sind’s, wir! wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die kalte Fremde irgendeiner anderen Welt zu stürzen, und, wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus.“(1)
Friedrich Hölderlin

Etwas zu finden, einen Schatz zu heben, reich zu werden und sich nebenbei in ein besseres Licht zu stellen – immer waren Träume dieser Art Anlass genug, Haus und Hof zu verlassen. Manch einer lernte dabei das Fürchten, nur wenige Glückliche kamen mit vergoldeten Händen in die Heimat zurück.
Im Alten Museum Berlin befindet sich eine Sammlung griechischer Votivgaben aus Penteskouphia westlich von Korinth. Es sind bemalte Tontafeln, von denen man annimmt, dass sie aus religiösen Gründen in einem heiligen Hain an die Äste der Bäume gehängt wurden. Vermutlich war es ein Sturzbach, der einen ganzen Scherbenhaufen dieser Pinakes aus dem Boden gespült hatte, was 1879 zu ihrer Entdeckung und Bergung führte.
Obwohl diese Geschichte, kulturhistorisch betrachtet, nur eine Fußnote ist, gefiel sie mir und regte meine Phantasie an, und so konstruierte ich eine Linie vom modernen Korinth nach Akrokorinth und Penteskouphia, die es mir erlauben sollte, Rottmanns(2) als wüste Ebene gemalte Landschaft in ihrem heutigen Zustand kennenzulernen.
Der grün patinierte Poseidon(3) am Hafen, ein kleiner Rummelplatz im Zentrum, eine stillgelegte Bahnlinie, Tankstellen, das kaum auffindbare antike Stadion von Korinth, der dorische Tempel, die Festung Akrokorinth. Der letzte linke Bogen meiner Zeichnung und damit meines Weges führt zur fränkischen Burgruine Penteskouphi hinauf, auf jenen Berg, von dessen nördlichem Abhang sich einst die Wassermassen ins Tal ergossen haben müssen. Sollte vor 130 Jahren nicht eine Scherbe übersehen worden sein? In der Zeit danach nicht ein anderes Unwetter weitere Täfelchen freigespült haben?(4)
Vom Gipfel aus konnte ich dort, wo der alte Fundort zu vermuten war, nichts als ein undurchdringliches Gestrüpp sehen. Und was hätte ich auch am Flughafen sagen sollen, mit weggefundener Antike im Rucksack.

1 Friedrich Hölderlin (1770–1843), Zitat aus: „Hyperion“ (1797/1799) - Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 1998. - S. 21.
2 Carl Rottmann schuf im Auftrag des bayerischen Königs Ludwig einen großen Griechenland-Zyklus, für den man beim Bau der Neuen Pinakothek München 1853 einen besonderen Saal einrichtete. Dieser wurde bei einem Bombenangriff 1944 zerstört, die im Keller eingelagerten Gemälde erlitten Schäden. Seit 2003 gibt es einen neuen Rottmann-Saal.
3 Nachbildung des „Poseidon vom Kap Artemision“, Original im Archäologischen Nationalmuseum Athen, Bronzefigur aus dem 5. Jh. v. Ch.
4 Der Fundort wurde 1880 und erneut 1905 archäologisch untersucht. Neben Berlin befinden sich Tafeln im Louvre Paris und im Archäologichen Museum Korinth.