Matthias Geitel

 

Cerveteri

 

1 Wanderung, 1 Projektion, 1 Zeichnung
2012


Neben der Wanderung nach Cervara besichtigte ich im gleichen Jahr die etruskische Nekropole Cerveteri nördlich von Rom. In diesem Fall existierte keine geplante Wegstrecke, die es zu absolvieren galt, ich mäanderte zwischen den Tumuli und fotografierte die eindrucksvolle Architektur der Anlage.
Aus dem Kreuz und Quer des Besichtigungs-Parcours wurde die Zeichnung eines möglichen Weges, den ich hätte gehen können. Dazu brachte ich den Plan der Anlage in Übereinstimmung mit aktuellen Luftbildaufnahmen und versuchte eine "Besichtigungs-Linie" zu konstruieren, die dem Gelände gerecht wird und gleichzeitig von hohem grafischen Reiz ist. Während bei den Linien zu Olevano und Cervara die tatsächlich abgelaufenen Straßen der Zeichnung die Form diktierten, ist die Cerveteri-Linie ein Produkt künstlerischer Entscheidungen. Nichtsdestotrotz beschreibt sie den Weg, den ich ungefähr zurücklegte, um von A nach B zu gelangen.

Blick in eine in den Tuffstein von Cerveteri geschlagenen Grabkammer

 

Cerveteri (Buchseite aus "TOUR")

„Dem auf der Straße Wandernden ist irgendein Ziel gesteckt; das Herumirren ist endlos.“(1)
Seneca

Manchmal sieht man Bilder von Orten, die nicht wieder aus dem Kopf verschwinden wollen, die so lange die Phantasie beschäftigen, bis dem unterschwelligen Wunsch nach Besichtigung endlich Taten folgen. Bei aller Skepsis gegenüber modernen Tourismusverlockungen: Dinge von persönlichem Interesse in natura gesehen zu haben, kann wirklich bedeutend sein. In meinem Fall gilt das für den Krater des Vesuvs ebenso wie für die gewundenen Gänge und die Tumuli der etruskischen Nekropole Banditaccia, der Totenstadt des antiken Caeres rund fünfzig Kilometer westlich von Rom.
Unweit des heutigen Cerveteri, auf einer Anhöhe nordöstlich der Stadt, wurden zwischen dem 7. und 3. vorchristlichen Jahrhundert Grabkammern in den Tuffstein des Hügels geschlagen, ihre Innenarchitektur ist das Ergebnis gut geplanter bildhauerischer Arbeit. Die Gesteinsstruktur der Wände und Säulen zeigt, um was es sich geologisch handelt: Ein viele Meter dickes pyroklastisches Sediment beherbergt die Gräber. Wer muss da nicht an Pompeji denken!
Als ich den Ort besuchte, geschah das ohne eine konkrete Vorstellung, ob und wie ich meine Fotos jemals einer späteren Nutzung zuführen könnte. Fotografierend zog ich kreuz und quer durch die Anlage, unterirdisch war es ein eher ahnungsloses Blitzen in die oft unbeleuchteten Räume hinein. Zurück in Berlin, konstruierte ich unter Berücksichtigung der realen Gegebenheiten die Linie eines Weges, den ich in der Banditaccia hätte gehen können. Beginnend im Inneren der eingezäunten Weltkulturerbestätte(2) und endend außerhalb des weiträumigen Geländes, dort, wo man die Reste der Grabanlagen in der freien Natur schon suchen muss.
Die Bleistiftzeichnung für Cerveteri stellt ein Bindeglied zwischen den beiden römischen Wanderlinien und allen späteren dar, weil ich bei der Entwicklung der Zeichenschablone nicht nur die Linie auf einer Landkarte rekonstruierte, sondern Wert darauf legte, ein grafisch interessantes Gebilde zu gestalten, das die Augen des Betrachters bannen und zum steten Umherschweifen bewegen kann.

1 Lucius Annaeus Seneca (1–65 n. Ch.), römischer Philosoph und Politiker, in: „Vom glücklichen Leben“ Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1978. - S. 209
„Aus den Briefen an Lucilius“, Kapitel „Natürliche und blinde Begierden“.
2 UNESCO Weltkulturerbestätte seit 2004.