Matthias Geitel

 

Cervara

 

1 Wanderung, 1 Projektion, 1 Zeichnung
2012


Nach dem Fußmarsch von Olevano Romano nach Rom im Jahre 1996 ist diese Wanderung eine kulturhistorische Erkundung des modernen urbanen Raums, der vor 200 Jahren noch leeres Hirtenland war. Mein Ziel waren die antiken Steinbrüche von Cervara, etwa 16 km vom Stadtzentrum Roms entfernt, auch bekannt als die "Grotten von Cervaro", in denen die deutschen Künstler der Ponte Molle in der ersten Hälfte des 19. Jh. jährlich ihre Frühlingsfeste feierten. Maßgeblicher Erfinder und Koordinator dieser karnevalesken Zusammenkünfte war der Erfurter Maler und Zeichner Friedrich Nerly, dessen Nachlass zur Gründung des Erfurter Angermuseums führte.

Ludwig Adrian Richter (1803–1909) beschreibt den Ort in seinen "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers" für das Jahr 1824 wie folgt:
"Die Cervara, ein antiker Steinbruch in der Campagna, liegt etwas über zwei Stunden von der Stadt entfernt, und dahin bewegte sich an einem schönen Sonntagsmorgen eine sehr zahlreiche Gesellschaft von Künstlern und Gelehrten, von vier mit Wein und Proviant beladenen Eselein und ihren Treibern gefolgt. Schon im vorigen Jahre war ich mit einigen Freunden hier gewesen und kannte das interessante Terrain. Auf einem Wiesenplan, von felsigen Hügeln umgeben, lagerte man sich zunächst zum Frühstück. Unzählige Grotten, prächtig von Efeu und Buschwerk überwachsen, wurden durchstöbert; einige derselben waren von Leuten bewohnt, denen man allein nicht gern begegnet wäre. Die Gesellschaft zerstreute sich jetzt in den Hügeln, einige, um zu zeichnen, Freund Pettrich, um womöglich ein paar Lerchen zu einem Mittags braten zu schießen, wieder andere wälzten Steine zu Sitzen in einen weiten Ring, in dessen Mitte auf einen größeren Block das Weinfaß gelegt wurde. Der »lange« Freund, Freund und Faktotum Thorwaldsens, und der treffliche Bissen rissen Efeu und wilden Wein zu Kränzen von den Felsen, wobei ich von einem Skorpion gestochen wurde, welche zu Hunderten in den feuchten Felsenritzen saßen. Der Stich dieser kleinen Bestie ist in dieser Jahreszeit nicht schlimmer, als ein Wespenstich, und bewirkte nur eine starke Beule in der Hand. Braun, Stirnbrand, Hermann hatten indessen ein gewaltiges Feuer angezündet und beschäftigten sich mit dem Zurüsten des Mittagessens."

Steinbruch_Cervara

Noch heute stößt man in den wenigen erhalten gebliebenen Höhlen auf Spuren von ehemaliger und sehr aktueller Nutzung. Die großen Hallen, in denen die Deutsch-Römer das Orakel der Sibylle befragten, sind aber verschwunden. Mancherorts stehen einsame Tuffstein-Stümpfe auf dem Gelände, die davon zeugen, dass viel Material über die Jahrhunderte abgetragen wurde. Aktuell (2012) wird das Autobahnkreuz von Cervara erweitert, das die einst idyllisch gelegenen Steinbrüche auf zwei Seiten umfasst. Der von vielen Zeitgenossen Nerlys gerühmte Blick auf die Albaner Berge muss heute als sehr eingeschränkt bezeichnet werden.

Autobahnkreuz_Cervara