Matthias Geitel

 

Drei Arten, einen Weg zu beschreiben

 

1Buch, 1 Diaprojektion, 1 Zeichnung
Beitrag zur Ausstellung "Rom sehen und sterben ..." in der Kunsthalle Erfurt, 2011


Während meines Stipendien-Aufenthalts in der Casa Baldi in Olevano Romano im Herbst 1996 hatte ich einen Fußmarsch von Olevano nach Rom unternommen. Dabei entstand eine Diaserie zur Dokumentation des gegangenen Weges. Ein Jahr später bekam ich die Gelegenheit, für meine Ausstellung im Kunsthaus Erfurt das Buch "Eine Wanderung durch die Campagna" zu veröffentlichen, in dem ich mich meines Marsches in textlicher Form näherte.

Auszug aus dem Buch "Eine Wanderung durch die Campagna”:

"38) Am Morgen des 21. Oktober brach ich von Olevano aus zu einem Fußmarsch nach Rom auf. Ich hatte leichtes Gepäck bei mir: etwas zu essen, eine Flasche zitronengesäuertes Wasser, Landkarte, Fotoapparat und Regenjacke. Einige Rompendler standen in der Bar und warteten auf den Bus, mit dem sie mich überholen würden. Mein Weg war die Fernverkehrsstraße, die von Fiuggi kommend bei S. Cesareo in die Via Casilina mündet und bis zum Hauptbahnhof Roma-Termini führt. Vor mir lag eine Wanderung durch die Campagna, ein Marsch, dessen eigentlicher Sinn und Ausgang im Unbestimmten lag. Im Laufe des Tages porträtierte ich meinen Weg. Zwischen 6.30 und 18.45 fotografierte ich in regelmäßigen Abständen die vor mir liegende Straße in Zentralperspektive, der Fluchtpunkt der Begrenzungslinien und des Mittelstreifens bildete das Zentrum eines jeden Dias. So entstanden 69 fotografische Aufnahmen einer 54 km langen Wegstrecke, Bilder einer unaufhörlichen Vorwärtsbewegung, belichtet von der Peripherie des Geschehens aus.
39) Warum muss es zu Fuß sein? Weil es andere vor mir taten? Weil ich so meine Umgebung in Besitz nehmen kann? Weil ich auf diese Weise meine körperlichen Grenzen erkenne? Weil ich mir andere Erinnerungen an die Straße einprägen will? Weil ich einen Vorwand benötige? Weil ich eine Geschichte erzählen möchte? Weil ich es noch nie getan habe?"


Anlässlich der Ausstellung "Rom sehen und sterben ..." in der Kunsthalle Erfurt 2011 konnte ich einen kleinen Raum nutzen, um das Material erneut zu zeigen. In diesem Zusammenhang entstand eine große Zeichnung des zurückgelegten Weges, eine einzige Bleistiftlinie, malerisch aufgebaut bis zu einer Breite von etwa 3 mm. Diese "einfache Linie", die die Windungen der Straßen nachbildet, führt durch eine italienische Landschaft, die ich 1996 in dem Zeichnungszyklus "Betrachtungen über das Gerinnen der Form" auf ähnlich reduzierte Form dargestellt hatte.